Aktion Rote Schuhe Protesktion gegen Femizide in Neukölln
Allein im April wurden in Berlin drei Frauen von ihren Ex-Partnern getötet. Am 17.04. wurde eine Frau, Mutter von vier Kindern, mutmaßlich von ihrem Ex-Partner in ihrer eigenen Wohnung in Britz erstochen. Um der getöteten Frau zu gedenken, veranstaltete eine Gruppe aus Mitarbeitenden der Anti-Gewalt-Projekte in Berlin, darunter Mitarbeiter*innen der Frauenhäuser und Beratungsstellen gegen Häusliche Gewalt, eine Protestaktion vor dem Rathaus Neukölln.
Die Protestaktion der „Aktion Rote Schuhe“ gegen Femizide in Gedenken an die in Britz ermordete Frau fand am 07.05.2025 vor dem Rathaus Neukölln statt.
„Die Zustände in unserem Arbeitsfeld sind nicht mehr tragbar. Es gibt viel zu wenig Stellen, um den hohen Bedarf an Unterstützung zu decken; die Sorge um die vielen Frauen, die keinen Schutzplatz finden, ist nicht mehr zumutbar. Deswegen legen wir unsere Arbeit nieder – zumindest während des Gedenkens an die Verstorbene”, begründet eine der Organisatorinnen die Aktion.
Neben StoP Neukölln, dem Berliner Zentrum für Gewaltprävention, dem Bezirksbürgermeister Martin Hikel, der Sprecherin für Frauenpolitik und Gleichstellung der Grünen Bahar Haghanipour und einer privat engagierten Angehörigen, war auch BIG mit einem Beitrag vertreten.
Unser Statement zum Femizid in Britz:
„Schockierend“, so werden Nachrichten über Femizide zumeist kommentiert. Schockierend ist das Wort, mit dem das Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt letztes Jahr kommentiert wurde, in dem es hieß: Fast jeden Tag findet in Deutschland ein Femizid statt. Und jeden zweiten Tag töten ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin. „Erschreckend“, heißt es.
Wir sind nicht schockiert. Wir sind wütend. Wer hinguckt, kann nicht erschrocken sein über den Frauenhass, der in Deutschland grassiert.
Wer hinguckt, sieht das strukturelle Ignorieren von Gewalt gegen Frauen. Sieht die Mangelfinanzierung des Anti-Gewalt-Systems, die fehlenden Schutzplätze, sieht die Versprechungen der Politik, die auf sich warten lassen. Noch 540 Femizide, dann gibt’s Geld vom Bund. Wer hinguckt, sieht die Kürzungen von Projekten, die Gewaltprävention leisten.
Wer hinguckt, sieht den um sich greifenden Rassismus, der Frauenhass als importiertes Problem abtut und Abschiebungen verschärft, statt wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Wer hinguckt, sieht, wie dieser Rassismus es Frauen mit unsicherem Aufenthaltstitel immer weiter erschwert, sich aus ihrer Situation zu befreien. Wer hinguckt, sieht, wie deren Kinder unter der doppelten Belastung eines gewaltvollen Zuhauses und der Gewalt einer rassistischen Gesellschaft leiden.
Wer hinguckt, sieht das desinteressierte Schulterzucken, mit dem Polizei und Justiz gewalttätig gewordene Männer immer wieder davon kommen lassen. Wer hinguckt, sieht, wie derzeit Einrichtungen, die mit Tätern daran arbeiten, ihr Verhalten nachhaltig zu ändern, um ihre Existenz kämpfen. Wer hinguckt, sieht ein System, das gewaltbetroffene Frauen immer noch nicht ernstnimmt.
Wer hinguckt, sieht das altbackene Familienverständnis, das in vielen Familiengerichten immer noch vorherrscht. Wo Frauen, die sich und ihre Kinder vor ihrem gewalttätigen Ex-Partner schützen wollen, vorgeworfen wird, sie wären „bindungsintolerant“ und würden dem Vater die Kinder wegnehmen wollen. Wer hinguckt, sieht dass der vom Gericht erzwungene Umgang mit dem gewalttätigen Vater jedes Mal eine erneute Gefahr für Betroffene darstellt.
Wer hinguckt, sieht, dass dieses Land immer erst dann reagiert, wenn die Gewalt schon geschehen ist. Wer hinguckt, beobachtet ein Land, das sich einmal jährlich über die stetig steigenden Opferzahlen im Lagebild Häusliche Gewalt „erschrickt“ – wohlbemerkt für gewöhnlich im „Panorama-Teil“ der Nachrichten – und dann: weitermacht, wie gewohnt. Wer hinguckt, sieht: Das sind keine Einzelfälle, das hat System.
Wer hinguckt, weiß: Jeden zweiten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Aber die Politik guckt selten hin. Die Gesellschaft guckt weg. „Das ist Privatsache, da mische ich mich lieber nicht ein“, heißt es. „Eifersucht ist ein Zeichen von Liebe“, heißt es woanders. „Das kann ich gar nicht glauben, der wirkte doch immer so nett“, heißt ist im Nachhinein. Und so stehen wir heute hier und gedenken der 37-jährigen Frau, die trotz Annäherungsverbot von ihrem Ex-Partner in ihrer eigenen Wohnung ermordet wurde. Und so lange sich politisch nichts ändert, so lange Männer nicht wirksam daran gehindert werden, ihre (Ex-)Partnerinnen zu töten, so lange werden wir unseren Alltag unterbrechen, werden wir unsere Arbeit niederlegen, um diesen Frauen zu gedenken. Jeder Einzelnen von ihnen. Das ist das mindeste, das wir tun können.
Aber schockiert, schockiert sind wir nicht. Diese Aktion ist kein Aufschrei. Unsere Forderungen sind nicht neu. Wir sind wütend und für die Dauer dieses Gedenkens gucken wir dem gesellschaftlichen Versagen nicht mehr länger zu.